, Jürg Wolf

Dolomiten 2013

Kulinarisch strukturierter Rückblick auf die Dolomitenwoche

Frikadellen


Jeder legt aus wie er will - aber was will der Wind?


Nach Links, nach Rechts oder doch Geradeaus? Die Frage der Startrichtung stellt sich einem immer wieder neu am Startplatz von Col Rodella. Bei den immer wechselnden Windrichtungen am Startplatz führt das zu Situationen, die bei vielen Piloten nur Kopfschütteln auslöst. In der Realität sind dann doch viele Piloten erfolgreich gestartet - entweder nach mehreren Auslegeversuchen oder dann nach mehreren Startversuchen. Und die haben es zum Teil in sich. Von Gleitschirmen, die direkt unter dem Bahnseil ausgelegt werden über Seitenwinde welche die schön stehenden Schirme abräumen bis zu den vielen Starts, bei welchen die Piloten gestartet werden - alles kann man sehen auf Col Rodella, auch bekannt als "Col Rodeo".

Wenn man das hört, wundert sich denn der geneigte Leser, dass der Rettungshubschrauber nur einmal am Startplatz reinlanden musste. In diesem Fall lief ein erfahrener slovenischer Pilot mit einem halb fliegenden Schirm über eine Kuppe hinaus und schwang sich dahinter direkt in eine dahinter stehende Lawinenverbauung.
Resultat: Wirbelbruch. Was das bedeutet, weiss ich ja schon aus eigener Erfahrung....


Der Unglücksrabe auf dem Weg ins Spital...


Marmelade

Alle anwesenden PARAnoia Mitglieder haben viele schöne, lange, hohe und sichere Flüge gemacht. Dabei überhöhten insbesondere Dani und Jürg die Marmolada und auch Florian und Peter konnten grössere Strecken abfliegen. Florian und Dani erweisen sich als die Starkwindprofis. Richi und Turi nahmen die ganze Woche wesentlich lockerer und machten zum Teil pro Tag mehrere Flüge, welche aber aber dank guter Thermik und starken überregionalen Winden auch zu tollen Flugerlebnissen führten.


Turi beim Starten


"Mit reichlich Wind aus nördlicher bis westlicher Richtung war es Glücksache immer das richtige Zeitfenster für einen problemlosen Start zu Erwischen." Originalzitat Richi

Zusätzlich haben wir am Dienstag PARAnoia-Typisch Verstärkung bekommen: Peter Greis ist zu uns gestossen und hat ebenfalls tolle Flüge in den Dolomiten hingelegt.


Der PARAnoia-Kern bei den ernsten Startvorbereitungen



Raclette

Um nicht einfach am Boden stehen zu müssen entschliessen sich am Samstag Dani, Florian und Jürg dazu, auf halbem Weg in die Dolomiten noch in Klosters auf Gotschna einen Flug zu machen, denn der Wetterbericht für die Dolomiten ist für den Samstag noch nicht so ideal. Zu viel Nordwind. Nach der Bergfahrt genehmigt sich Florian noch vor dem Start ein Raclette. Leider entpuppt sich das schon fast als Motto für die Thermik, denn diese erweist sich als sehr zäh. Dani und Florian können sich immerhin ein bisschen auf Startplatzhöhe halten, Jürg hingegen verabschiedet sich zügig in Richtung Landeplatz. Und da er auch auf der gegenüberliegenden Talseite weder Thermik noch Dynamik findet steht er bald am Boden.

Turi und Richi entscheiden sich dazu, direkt nach Campitello di Fassa zu fahren und so trifft man sich am Samstag Abend im Hotel zum Gemeinsamen Abendessen zu Fünft.


Latte Macchiato

Sonntag Nachmittag. Turi und Richi haben schon einen Flug hinter sich und sind bereits wieder am Startplatz. Dani und Florian sind in den starken Nordwind gestartet. Der Start ist anspruchsvoll, aber einmal in der Luft erweist sich der Nordwind als wunderschön gleichmässig und einfach zu fliegen. Manchmal ist der Wind ein bisschen stärker, dann können die Piloten in der Luft den Startplatz überhöhen - manchmal lässt er ein bisschen nach, dann saufen sie unter Startplatzhöhe ab und müssen sich auf den Landeplatz ausrichten. Einige Piloten schaffen es, einen Thermikschlauch zu ergattern und können so im Tal draussen den Startplatz überhöhen.


Dani am soaren über Col Rodella


Nur ich habe hier noch keine Flugerfahrung gesammelt. Da sich aber überall solide Thermik abzeichnet, entschliesse ich mich auch zu starten. Nach einem mittelmässigen Starkwindstart (Notiz an mich: ich muss unbedingt nächsten Frühling mit nach San Fermo...!) soare ich gemütlich vor dem Startplatz hin und her. Manchmal darüber, manchmal ein bisschen darunter. Nach einiger Zeit entschliesse ich mich dann doch, woanders nach Thermik zu suchen. Belvedere scheint da ein sicherer Wert zu sein, wie die vielen bunten Fetzen über dieser Ecke verheissen. Also fliege ich los. Ich komme oberhalb einer Abrisskante an und kann problemlos bis auf Höhe der Belvedere-Station aufdrehen. Unterhalb von mir sehe ich einen bekannten Schirm mit rot behelmten Piloten und fürchte, dass Florian es nicht schafft, zu mir aufzudrehen. Diese Befürchtung bewahrheitet sich am Abend denn auch als mir Florian bestätigt, wie er sich dort abkämpfte...


Florian am Start


Über Belvedere erblicke ich Danis Schirm. An sich ein gutes Zeichen, aber wenn ich die Menge an anderen Schirmen sehe und zudem die Wettersituation berücksichtige ist es mir nicht so wohl. UFO-Formationen über dem Val Gardena und klare Starkwind-Anzeichen überall sonst führen mich zum Entschluss, mich in Richtung Westen abzusetzen. Die Talquerung verläuft zuerst problemlos, jedoch verliere ich ziemlich Höhe sobald ich in den Talwindeinfluss gelange. Ich beschliesse, nur noch soweit nach Westen zu fliegen dass ich es noch zurück zum Landeplatz beim Hotel schaffe. Das gelingt mir denn auch problemlos.


Omelette

Montag verheisst weniger Nordwind und soll darum besser werden. Tatsächlich sind die Startbedingungen denn auch nicht mehr ganz so schlimm wie am Vortag, aber immer noch anspruchsvoll. Trotzdem starten immer und immer wieder Piloten, welche ganz offensichtlich nicht mit solchen Bedingungen vertraut sind. Auch heute schwinge ich mich als Letzter vom Club in die Luft und soare etwa eine halbe Stunde vor dem Startplatz. Nicht etwa, weil es mir hier so gut gefällt, sondern eher, weil ich keine wirkliche Alternativen sehe. Auch heute gibt es zwischendrin immer wieder Phasen mit weniger Wind so dass viele absaufen und den Soaringhang verlassen müssen. Mir gelingt es dank flachem Drehen mich vor dem Gelände zu halten bis ich sehe, dass es weiter draussen im Tal genügend Thermik hat um thermisch zu fliegen. Also schliesse ich mich diesen Piloten an und überhöhe Col Rodella problemlos bis auf knapp 2900 müM. Dort schaue ich mir die Unmengen an Piloten am Belvedere und am Sasso Pordoi an und finde, dass das nicht mein Ziel sein kann. Also beschliesse ich, erneut in Richtung Westen zu fliegen. An einer Kante kann ich aufsoaren und schliesslich mit Thermik weiter aufdrehen. Plötzlich taucht im Osten ein mir bekannter Schirm auf: Dani again! Gekonnt findet er eine Thermik mit der er aufdreht und mich bald darauf wieder in Richtung Campitello verlässt. Am Boden wird er mir dann erzählen, dass er da direkt von der Marmolada her geflogen kam. Toll. Und wo ist meine Thermik, die mich jetzt nach Osten bringen soll?


Dani mit Aussicht auf Col Rodella, Sellapass sowie Sasso Pordoi und im Hintergrund die Marmolada

Ich merke, dass der Wind mich in meinen Plänen nach Osten unterstützen wird, also gehen wir den Plan an. Erste Querung OK. Am Grat vorbei wo zwei andere krampfhaft versuchen Höhe zu gewinnen. Keine Zeit, wenns nicht funktioniert. Also weiter. Shit! Klar, hinter einem solchen Grat bin ich im Lee.... Also sinkt es wie blöd und schüttelt. Wenigstens bin ich nicht direkt über den Grat geflogen sondern doch ein gutes Stück ausserhalb vom Gipfel!

Oberhalb von Canazei fliege ich in den Prallhang vom Talwind und steige langsam aber kontinuierlich bis zum Belvedere hoch. Auch jetzt hat es mir hier immer noch zu viele PET-Flaschen in der Luft und so beschliesse ich, den Landeplatz zu suchen. In der X/Y-Achse ist er sehr schnell gefunden, doch mit der Z-Achse scheint es nicht so ganz zu klappen: Es geht grossflächig hoch, auch mit den Ohren eingeklappt steigt es zum Teil immer noch. Einfach nicht mehr so fest. Aber schlussendlich klappt es auch mit der Höhe und ich lande gleich bei Dani auf dem grossen Landeplatz bei der Bahn.


Dani am aufräumen



Tiramisu

Dienstag soll der beste Tag der Woche werden: Weniger Nordwind - aber immer noch so viel, dass die Luft trocken bleibt und uns eine hohe Basis beschert. Nach anfänglichem Zögern der Thermik schaffen es doch Einige den Langkofel zu überhöhen. OK - einige Hundert schaffen es den Langkofel zu überhöhen. Zumindest gefühlte "einige Hundert". Denn die Tuchdichte ist einfach erdrückend hier. Im Vergleich zu Fiesch verteilen sich die vielen Piloten einfach viel zu wenig gut und somit sitzen fast alle in den gleichen 3 bis 4 Schläuchen.


Hohe PVC-Dichte am Langkofel

Mein geplanter Abflug wird noch ein bisschen nach hinten geschoben wegen dem oben erwähnten Startabbruch mit anschliessendem Heli-Intro, doch danach starte ich schnell und kann auch sehr schnell all die anderen Schirme unter mir lassen indem ich schnell und sanft auf knapp 3'600 Meter steige. Die Idee, am Belvedere noch weitere Höhe zu machen lasse ich links liegen als ich sehe, dass vier Schirme mit wesentlich weniger Höhe die Querung zur Marmolada machen. Ich fliege denen also hinterher und komme dort auch mit genügend Höhe an. Doch der Kampf um die Gipfelhöhe ist hart und zäh. Schliesslich kann ich mit gut 3'400 den Anflug zum Gipfelschneefeld wagen und sehe dabei unter mir einen ausgelegten Gleitschirm. Naja, ist sein Problem in den Abwind des Gletschers zu starten und drehe ab, um die selbe Strecke wie Dani am Vortag zu machen. Interessanterweise kann ich den Flug Westwärts locker und mit sehr wenig Sinken absolvieren. Immer wieder finde ich eine kleine Thermik, welche mich aber knallhart bestraft wenn ich eindrehe: "Ätsch, bätsch - ich habe Dich verleitet zum Eindrehen, aber Du findest hier niiiichts...".


Jürgs Ausblick auf die Marmolada

Nun denn - ich fliege weiter bis nach Pozza di Fassa und versuche hier noch eine weitere Talquerung in Richtung Süden. Ich bin schon fast drüben, da beginnt plötzlich ein starkes Sinken. Also drehe ich ab und mache mich auf den Weg nach Hause. Mit zeitweise über 55 km/h ohne den Beschleuniger zu benutzen fliege ich Richtung Campitello und schwenke auf den Landeplatz beim Hotel ein. Plötzlich sehe ich dass dort am Boden jemand hervor rennt und scheinbar etwas in der Hand hält. Mein erster Gedanke bestätigt sich: Dani filmt meine Landung und hält somit fest, wie Glückstrunken ich bin von meinem Flug...!


Jürg bei der Landung in Campitello


Jürgs Track auf XContest.org


"Uuuuhhhh..... En sooooooo geniale Flug gsi" Originalzitat Jürg nach seiner Marmolada-Bezwingung



Eisdessert

Die Einschätzung, dass der gestern der Beste Tag der Woche fürs Streckenfliegen war bewahrheitet sich heute. Trotz strahlend blauem Himmel wirkt die Luft heute Mittwoch diesiger als an den Vortagen. Und dann bilden sich auch schon die ersten Wolken knapp unterhalb des Langkofelgipfels. Im weiteren Verlauf des Tages werden die Wolken dort immer grösser und beständiger bis sich etwa auf halber Höhe der Felswand eine stabile Wolkenschicht etabliert. Der Nordwind ist nun definitiv vorbei und so sieht man denn am Startplatz (fast) nur noch Starts direkt nach Süden. Ich starte auch so hinaus und muss mit massivem Sinken bis zum Masten der Seilbahn abgleiten bis ich in den dynamischen Aufwind gleich davor komme. Dieser Aufwind bringt mich direkt bis zum Südstartplatz unterhalb der Seilbahn aber der Anblick der gut Einhundert Gleitschirmpiloten am Fusse der Südfelswand lässt schon wieder ein wenig Frust in mir aufsteigen. Aber es ist nicht so schlimm: Ich fliege dieser Felswand drei mal entlang und bin schon in den obersten 10% des gesamten Pulkes. Weiter hoch scheint es nicht mehr zu gehen, also wechsle ich hinüber zum Langkofel unter die Wolkendecke.

Auch dort geht es mühelos hoch und ich bin schon bald unterhalb der Wolkendecke, die ich aber im Gegensatz zu Florian nur von aussen bewundern darf.

Ich beginne also eine weitere Talquerung und sehe plötzlich von vorne unten grosse Wolkenschwaden auf mich zuziehen. Ein kurzer Check sagt mir, dass vor mir keine Fliegerkollegen auf ähnlicher Höhe unterwegs sind und dass ich somit ein kleiner Wolkenflug durchaus wagen kann. Der "Durchstich" war denn auch problemlos und faszinierend zugleich.
Auf der anderen Seite angekommen, merke ich schnell, dass es auch hier mehr dynamisch als thermisch zugeht. kein Problem, der Wechsel auf die Luv-Seite geht problemlos. Die nächste kleinere Talquerung geht auch noch problemlos, aber bei der Nächsten zum Rosengarten verliere ich definitiv zu viel Höhe und entschliesse mich wieder zurück nach Campitello zu fliegen.
Wie erwartet ist der Talwind stärker als gestern und bläst mich mit über 60 km/h über Grund in Richtung Campitello. Zwei Versuche, mit meinem Schatten Autos auf der Strasse zu überholen breche ich ab, da ich nicht wirklich genug Höhe habe für solche Spielereien und so muss ich denn auch knapp ausserhalb des Ortes auf einer grossen Wiese landen.


Danis Vollzerleger


Dani hat weniger Glück - Auf seinem Flug hat er Begleitung von zwei anderen Gleitschirmpiloten. Als sie zusammen an einem Ort hochdrehen, "sind es wenige Momente bei denen alle drei Schirme gleichzeitig offen sind" (Originalzitat Dani). Aber es kommt noch schlimmer: Ein Totalzerleger mit anschliessend wild durcheinandergewirbeltem Schirm und Piloten hinterlässt zusätzlich Eindruck so dass er beschliesst, ziemlich direkt an den Landeplatz zu fliegen...
"Scrambled eggs" Originalzitat Dani nach diesem Flug



Kalte Küche

Am Donnerstag ist am Morgen schon alles bedeckt und der Wetterbericht sagt für Heute sogar Regen an. Ich packe diese Steilvorlage des Wetters und melde mich kurzfristig in Hotel ab um den nichtfliegbaren Tag für einen familiären Anlass auf dem Nachhauseweg zu nutzen. Die anderen geben aber nicht auf und fahren hoch zum Startplatz auf Col Rodella. Doch hier hat sich bereits wieder starker Wind eingefunden - aus Nordwesten weht er frisch über den Berg. Das bedeutet, dass das normale Startgelände nicht genutzt werden kann und alle Piloten auf der anderen Seite des Antennenhügels auf annehmbare Startbedingungen warten. Florian und Dani schaffen den Start dann doch noch, für mehr als einen Abgleiter reicht es dann aber doch nicht. Beeindruckt ob soviel fliegerischem Potential gleiten Peter, Turi und Richi dann doch wieder mit der Bahn hinunter.

"Einmal in der Luft wurden wir mit der einzigartigen Szenerie der Kalkalpen belohnt. Der mehr als grosszügig bemessene Landeplatz lud auch zu Aufziehübungen ein um genügend vorbereitet auf das reichlich bemessene Nachtessen zu sein." Originalzitat Richi


Tomatencremesuppe

Die Aussichten für Freitag sind noch schlechter. Es hat sich eben doch bezahlt gemacht, bereits am Mittwoch Abend die Zimmer auf Freitag abzumelden.
Dani versucht mit einer frühen Abfahrt auf seinem Töff dem unabwendbaren Schicksal des Regenkombis auf seinem Töff zu entkommen. Über die Pässe geht es noch, aber ab Landquart umhüllen ihn die Regentropfen ohne Hemmungen.
Florian hat bereits von Anfang an geplant, ab Freitag noch in seiner Heimat vorbeizuschauen, Turi und Richi kommen auch noch gut nach Hause nachdem sie Karersee und Latemar aus der guten alten Fussgänger-Perspektive kennenlernen.

Auch wenn der Abschluss wetterbedingt nicht so ideal war - einen schöneren Saisonabschluss kann ich mir nicht vorstellen!